Mitten im Amazonas

Mit dem Fahrrad quer durch den AMAZONAS

 

Tap tap tap ........ da ist er wieder. Wir halten an, es bleibt ganz ruhig. Gut, dann fahren wir eben wieder los. Tap tap tap folgt er uns sofort wieder. Wir können ihn sogar riechen, den stechenden Geruch, "Onca" nennen die Brasilianer ihre Wildkatzen. Der Dschungel ist hier so dicht, dass wir unsere Begleitung nicht sehen können. Wir wissen nicht, ob es ein Jaguar, ein Panther oder sogar ein Puma ist.

Ursi und ich befinden uns auf den Überresten der Transamazonica, mitten im Amazonas. Die Strasse hat noch vor sieben Jahren Porto Velho mit dem 900 km entfernten Manaus verbunden. Heute ist sie geschlossen und für Vierradfahrzeuge unpassierbar. Selbst unsere Fahrräder müssen wir ab und zu von ihrer Last befreien, um sie über eins der vielen Flüsschen zu tragen die den Damm, auf dem die Strasse gebaut ist, langsam wieder abtragen.

Ob es denn hier nicht gefährlich ist ? Na ja, die Leute, die wir vor zwei Tagen verlassen haben, Einheimische, leben tagtäglich mit ihrer "Onca", sie haben uns einige lebenswichtige Verhaltensregeln mit auf den Weg gegeben. Auf jeden Fall sei es den Wildkatzen am Tag nicht unbedingt nach jagen zumute. Man soll aber den Dschungel auf keinen Fall alleine betreten.
Im Altiplano
Aber fangen wir doch von vorne an. Am 27. März 1997 Starten Ursi und ich in Calama in Chile. Wir haben uns nichts geringeres als die Durchquerung des Amazonasbeckens mit dem Fahrrad vorgenommen. Die Strecke von Calama nach Uyuni (Bolivien) wäre eigentlich als einfache Einfahrstrecke gedacht gewesen. Nach kaum zwei Tagen befinden wir uns aber im härtesten, von der Wüste kontrollierten Überlebenstraining. Die schlimmste Etappe - elf Kilometer an einem Tag - kostet uns nebst sämtlichen Nerven auch noch alle Wasserreserven. Trotzdem erreichen wir Uyuni am 18. April 1997, genau am gleichen Tag wie Stefan, mein Bruder, der vor ein paar Wochen in La Paz gestartet ist. Wir können's kaum glauben, dass die 800km Wüste und die hohen Andenpässe bereits hinter uns liegen. Zu dritt machen wir uns auf die Suche der Quelle des Amazonas. Nach den Angaben die wir erhalten haben soll Sie sich in den hohen Bergen in der Nähe von Arequipa in Peru befinden. Nach zwei Wochen Radfahren und einer Woche zu Fuss finden wir das sprudelnde Wässerchen just am Abend des Muttertages auf 5153 Metern Höhe (laut GPS).
Damit ist die kurze Zeit zusammen mit meinem Bruder auch schon vorbei. Während Ursi und ich, mit unserem Gebirgszelt in die Tropen fahren wollen, macht sich Stef mit seinem Tropenzelt auf den Weg in die kalten Salare (Salzwüsten) von Bolivien und Chile.
So fahren wir weiter nach Sorata einem kleinen Städchen in der Nähe von La Paz. Von hier aus möchten wir die letzte Bergkette der hohen Anden, die uns noch vom Amazonasbecken trennt, überqueren. In zähen Verhandlungen gelingt es uns, einen Bauern mit zwei Maultieren anzuheuern. Die Maultiere sollten einen Teil des Gepäcks und vor allem die Räder über die schmalen Weglein in den Dschungel tragen.

Sie tun's auch, zumindest am Anfang, bis sich herausstellt, (was unser Maultierführer Domingo schon lange wusste), dass die Räder im dichten Dschungelgestrüpp des Nebelregenwaldes hängenbleiben. Die Mulis lässt das kalt, sie laufen sowieso lieber ohne Gepäck. Nun ja, Schweizer sind zähe Leutchen, so treibt Domingo eben vier Mulis ins Tal (und wir bezahlen ihn noch dafür).
Wir wollen nichts beschönigen: vier Tage lang leiden wir in endlosen Auf- und Abstiegen vor uns hin, manchmal mit zwei Rädern auf den Schultern. Das Tempo ist aber auch ganz schön forsch, sozusagen das Tempo des gehetzten Maultieres. Die ganz spezielle Schönheit des Nebelregenwaldes mit seinen Moosen, Lianen, Flechten und Blumen lässt uns aber zum Glück alles wie einen Traum erscheinen.

Nach sechs Tagen erreichen wir endlich die Strasse. Wir verabschieden uns von Domingo und seinen Mulis, Obwohl wir uns etwas schutzlos fühlen, bauen wir alle unsere Sachen zu-sammen und fahren los. Sechs Tage kämpfen wir uns auf der schlechten Strasse durch den Bergregenwald, dann, nach unendlich vielen Schiebekilometern kommen wir erschöpft und ausgelaugt in Guanay an. Wir ernähren uns nur noch mit Brot und Wasser. Bei allen anderen Esswaren macht der Körper nicht mehr mit. Darum lassen wir uns die nächsten 250 km bis San Borja im Bus chauffieren.

Von San Borja aus fahren wir drei Wochen lang durch den bolivianischen Dschungel bis nach Santa Cruz de la Sierra.Hier steigen wir in den Zug, der uns bis zur brasilianischen Grenze bringt. Es tut nun doch ein bisschen weh, das ruhige Land Bolivien zu verlassen und ins unbekannte Brasilien einzureisen.
Wir umrunden den Pantanal auf der Strasse, dann, auf der anderen Seite des grössten Sumpfgebietes der Erde, kaufen wir uns ein Kanu und fünfzig Kilo Proviant. Fünf Minuten lang üben wir das Paddeln, und schon geht's los: 450 Kilometer flussabwärts bis Porto Jofre mitten im Pantanal.

Die erste Woche verläuft so ruhig wie der Fluss. Am siebten Tag treffen wir auf ein paar Fischer, die uns nebst einem Fisch den Tip mitgeben, bei der nächsten Flussbiegung die Abkürzung zu wählen. Die Abkürzung ist perfekt, aber nach kaum fünf Minuten schleift uns die starke Strömung schon durchs Gebüsch, das ins Wasser hängt. Nun heisst's paddeln, damit unser sieben Meter langes Kanu im 6.9 Meter breiten Flusskanal nicht hängenbleibt und kentert. Im Widerwasser nach jeder Kurve warten die Krokodile träge blinzelnd auf unvorsichtige Kanutouristen. Nach zwei Stunden spuckt uns der Kanal wieder in den ruhigen Hauptfluss zurück.

Nach dreieinhalb Wochen paddeln kommen wir auch tatsächlich in Porto Jofre an. Hier steigen wir wieder aufs Fahrrad. Drei Wochen und 1000 Velo km später, erreichen wir Porto-Velho. Wir fühlen uns fit und der Etappe nach Manaus gewachsen.
Vor uns liegen 900 km einer Strasse durch den Dschungel, die vor sieben Jahren offiziell geschlossen wurde. Eine Strasse, die schon damals als sehr schwer passierbar galt. 300 km im Mittelstück sind gar gänzlich unbewohnt, jedenfalls von Menschen. Es gibt dort "nur" ein paar Pumas, Jaguare und Panther. Die ersten zweihundert Kilometer der Strasse sind wunderbar, geteert und es hat kaum Wasserlöcher. So fahren wir unbeschwert dahin bis zum letzten Punkt mit menschlicher Zivilisation, einer Baustelle. Hier treffen wir auf fünf typische Urwaldindianer. Zwei von ihnen sind gross, sonnenverbrannt und blond und heissen Schröder. Die fünf schauen uns ein paar Sekunden lang kritisch an, dann beschliessen sie, uns einige Tage dazubehalten und uns in einem Intensivkurs auf die Dschungelquerung vorzubereiten. Rüdiger Nehberg könnte es nicht besser. Sie nehmen uns mit zur Arbeit und auf die Jagd. Sie sehen alles, wir nichts. Unser Mittagessen bemerken wir erst, nachdem Falcão (Falke) geschossen hat und der Vogel getroffen vom Baum stürzt. Auf dem Rückweg zum Lager, bleibt Falcão plötzlich stehen und spitzt förmlich die Ohren. Wir versuchen's ihm gleichzutun, da lässt er schon die zwei Vögel, die er bis jetzt geschossen hat, fallen und rennt in den Wald hinein. Wir hören nur wie etwas Schwergewichtiges davonrennt, ein Puma, am hellichten Tag und keine fünfhundert Meter von unseren Zelten weg.
Piranha
Drei Tage sind schnell vorbei, und wir machen uns doch auf ins Ungewisse. Die Strasse ist in einem mässigen Zustand, fünfzig Meter geteert, dann ein zwanzig Zentimeter hoher Absatz und oft kilometerweit Schlamm. An einigen Stellen ist sie sogar von den jetzt harmlosen Bächlein in der Regenzeit weggespült. Im Moment ist der Wasserstand so niedrig, dass wir problemlos queren können. Zwölf Tage später kommen wir am Fluss unserer Träume an. Wir können's fast nicht fassen, wir hatten nicht immer daran geglaubt hier mit dem Fahrrad anzukommen. Wir sind viel zu müde um zu feiern, dass Ursi als wohl erste Schweizerin den amazonischen Wald mit eigener Muskelkraft bezwungen hat.